12/04/2025
Es ist immer aufs Neue fesselnd, den Erzählungen von Sagenhafter Harz zu folgen🤩
Diese, aufgeschrieben in "Die schönsten Sagen aus Ballenstedt und dem Selketal", und viele weitere Werke von Carsten Kiehne erhaltet ihr in unserer Selketal-Information Ballenstedt😊
DAS GESPENST DER ST. NICOLAI IN BALLENSTEDT
Einst gab es in der Kirche an der Langen Straße einen Glöckner, der so bettelarm war, dass er nur ein einziges, weißes Hemd besaß. Weil ihm sein Elend dermaßen unangenehm war, wollte er es vor allen geheim halten. So wusch er sein Hemd immer nachts und hing es draußen vor der Kirche an eine Eibe, damit es trocknen möge und er es am nächsten Morgen wieder anziehen könne.
Die abergläubischen Leute aber sahen das im Wind flatternde Hemd und meinten bald, ein Gespenst würde auf dem Kirchfriedhof wandeln – jede Nacht könne man es bei der alten Eibe sehen. Der Feuerteufel hatte 1498 nämlich arg gewütet, nur den steinernen Turm übriggelassen und einige Menschen gefressen. Sicher wäre es eine jener Seelen, die heute bei der im Jahre 1500 neuerrichteten St. Nicolai spuke. Als einmal ein Offizier nach Ballenstedt kam und abends in der Schenke mit seinen Landsknechten saß, da hörte er vom Geist nebenan. „Oho, ein äschter Jaast ja? Wie jefährlisch! Isch hab‘ mansche Schauerlischkaat jeseh’n, misch aber nimmer jegruselt!“, protzte er und knallte den leeren Bierkrug feixend auf den Eichentisch.
Da waren sich die Ballenstedter sofort einig, dass der Kommandant dann wohl berufen wäre, den Geist ein für alle Mal zu vertreiben. – Da konnte der Soldat nicht mehr anders, als seinen Worten Taten folgen zu lassen. Er tat ganz wacker, steckte sich seinen Degen an, nahm in jede Hand eine Faustbüchse (heute würden wir sie „Pistolen“ nennen“) und ging unter Jubelrufen Richtung Kirchfriedhof. Eine windige und neblige Nacht war das, in der man kaum fünf Meter weit blicken konnte. Immer wieder wandte er sich um, während ihm das Herz bis zum Halse schlug. „Wo biste Jaast, zeisch disch!“, schrie er in die Nacht, während er von hinten noch einmal fast verhallend Beifall hörte. Da zischte eine furchterregende Stimme nah an seinem Ohr – Oder war es der Sturm? – und eine weiße Gestalt warf sich aus dem Nebel auf ihn drauf. „Peng“, „Peng“ – ertönten zwei Schüsse, die dem Geist aber scheinbar nichts anhaben konnten. Da zog der Kommandant seinen Degen, stach auf das Spukeding ein, schnitt und hieb mit aller Kraft, doch der Geist ließ nicht von ihm ab und keine Gnade walten.
Dass nur der Sturm ins aufgehängte Hemd des Glöckners gefahren war, in dem sich der Mann nun verfangen hatte, um sein Leben kämpfte und Todesangst ausstand, konnte wegen des dichten Nebels ja niemand erahnen. Er tobte und schrie so markerweichend, dass jedermann rasch nach Hause floh und zitternd kein Auge zu bekam. Der Sturm freilich ließ in dieser Nacht so einige Äste niedergehen und einen wohl mitten auf den Kopf des Kämpfenden. - „Er lebt, er lebt!“, riefen seine Landsknechte am anderen Morgen aufgeregt, als sie kamen, um nach ihrem Kommandanten zu sehen. Wie der aus seinem Schreckenstraum erwachte, seine blutverkrustete Wunde am Hinterkopf befühlte und darauf in der Sonntagspredigt von seinem Kampf mit dem bösen Geist erzählte, da ward die Kirchengemeinde stumm und staunte mit offenem Munde.
Nur einer hatte größte Mühe, sich das laute Losprusten zu verkneifen. Das war der Glöckner, der mit einem ganz zerschlissenen Hemd aus seiner Stube der Predigt lauschte. Noch am selben Tag verließ er die Stadt, war er doch besorgt, dass sein Herz irgendwann im Lachanfall hätte zerbersten können. So blieb der Kommandant ein Held, denn den „Geist“ sah man ja tatsächlich von diesem Tage an niemals wieder.
(aufgeschrieben von Carsten Kiehne in "DIE SCHÖNSTEN SAGEN AUS BALLENSTEDT UND DEM SELKETAL")