18/05/2025
Ich verbinde mit dieser Tafel eine meiner berührendsten, schönsten und überraschendsten Pilgererlebnissen. Doch lest selbst:
So muss der Himmel sein...
Auffahrt 2012 kann kommen! Die dreitägige Pilgerwanderung auf dem Anschlussweg "Basel-Jura-Drei Seen" von Rebeuvelier über den Mt. Raimeux - Moutier - Sornetan - Bellelay nach Tavannes mit 17 Teilnehmenden ist vorbereitet. Einzig der Wetterbericht für Freitag hinterlässt bei mir Stirnrunzeln, es sind kräftige Schauer angekündigt und ich weiss, dass der Ort, wo ich die Mittagspause machen möchte, weder vor Regen Schutz, noch eine gute Sitzgelegenheit bietet. Die Vorstellung, den Lunch bei strömendem Regen im Stehen einzunehmen löst keine Begeisterungsströme aus. Kurz entschlossen greife ich zum Telefon und reserviere im nicht weit vom vorgesehenen Rastplatz entfernten Weiler Les Ecorcheresses im Restaurant "Relais des Chasseurs" ein Mittagessen. Ich wehre der Idee, einen Fünfgänger zu servieren; als Pilgergruppe wollen wir einfacher unterwegs sein. Wir einigen uns am Telefon auf einen Salat, Hauptgang und Dessert. Nur kurz denke ich über den Zusammenhang von angebotenem Fünfgänger und dem Hinweis in der Wegbroschüre, dass es sich hier um ein "gutes" Restaurant handelt, nach. Aber der vereinbarte Preis macht mich ruhig, in keinem Nobelschuppen gelandet zu sein.
Besagter Freitag kommt. Die Mittagsrast im Restaurant ist gegenüber der Pilgergruppe angekündigt. Wir nähern uns unter einem Gemisch von einzelnen Sonnenstrahlen und Wolken dem schlicht aussehenden Haus. Ein erstes Aufhorchen beim Blick ins Entrée: Geschmackvoll gestaltet! Und dann der Gang in die Gaststube und die Münder bleiben offen: Der Gastgeber hat für uns eine wunderbare Pilgertafel gerichtet: Ein grosser Tisch, liebevoll gedeckt und geschmückt. Die Wiesensträusse passen zu den Kerzen. Die weissen Tischdecken sind Grundlage einer festlichen Note. Und trotzdem kommt sich in den verschwitzten Hemden und den verschmutzten Wanderschuhen niemand daneben vor. Als Überraschung gibts vor dem Salat einen selbst gemachten erfrischenden Rhabarberapéro.
Als uns nach 50 Minuten der Salat serviert wird, schiele ich auf die Uhr: Eigentlich wollte ich nach 1 ½ Stunden wieder aufbrechen. Wenn der Hauptgang und das Dessert in diesem Rhythmus folgen, wird das nicht möglich sein. Ich "büschele" meinen Zeitplan und sehe, dass wir nach hinten Luft haben und entschliesse mich, dieser Pilgertafel Raum zu lassen. Erst nach knapp 4 Stunden brechen wir wieder auf, ohne Kaffee nota bene, denn ganz konnte ich den Blick von der Uhr doch nicht wenden... Aber wir gehen weiter mit der Erfahrung, reich beschenkt worden zu sein. Ein Teilnehmer fasste es abends so zusammen: "Als ich in die Gaststube kam dachte ich: So muss der Himmel sein! Ich wusste ja, dass wir erwartet werden, aber es war noch viel schöner, als ich es mir je vorgestellt habe."
Was war denn so viel schöner? Die festlich vorbereitete Tafel, die Erfahrung, dass der Gastgeber mit Leib und Seele für uns gekocht hat, uns das Essen serviert hat, daneben mehr und mehr erfahrend, welche Lebenserfahrungen - es hat auch schmerzhafte dabei - sich mit dieser Berufung, Gastgeber zu sein, verbinden.
Wer die Bibel liest, weiss, dass wir Menschen nicht vergessen sollen "gastfrei zu sein, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt." (Hebräerbrief Kapitel 13, Vers 2) Wir hatten den umgekehrten Eindruck: Wir sind bei einem Engel eingekehrt und haben als Pilgergruppe eine Mittagspause erlebt, die trotz aller Planung für uns alle eine Überraschung und ein Geschenk geworden ist.
Natürlich gehört dazu, dass der Engel uns beim Hinausgehen noch auf einen anderen Weg hingewiesen hat. Zuerst wollte ich seinem Hinweis nicht Folge leisten. Ich hatte doch für eine ganz bestimmte Stelle auf dem Weg einen passenden Impuls vorbereitet. Dann spürte ich: Es ist jetzt sowieso alles anders als geplant, also mach, was der Engel dir vorschlägt. Wir haben dadurch einen wunderschön lauschigen Wegabschnitt kennengelernt und tragen ein Bild in uns, das Tränen geweckt hat: Als wir uns nach 200m Weg nochmals umgedreht haben sahen wir, wie der Gastgeber uns von der hinteren Türe des Hauses zugewinkt hat. Darin lag die ganze Kraft einer Segensgeste für unseren Weg. Danke! Danke!